Immer mehr Kinder haben Angst vor Wasser und können nicht schwimmen. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie Dr. Harald Rehn, Bildungsreferent, von der DLRG, erklärt. Er sieht die Entwicklung kritisch. Ein Plädoyer für den Spaß im kühlen Nass.
Wasser erleben und Ängste abbauen
Harald Rehn ist ehemaliger Sportwissenschaftler und seit Jahren bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V., kurz DLRG, als Bildungsreferent tätig.

Er beschäftigt sich mit der Theorie und Praxis des Schwimmens – und wie man es Menschen beibringt. Er schreibt an Lehrmaterialien mit und geht selbst gern schwimmen. „Ich freue mich immer, wenn ich mir meine Arbeitszeiten so legen kann, dass ich bei schönem Wetter im Freibad bin, um meine Bahnen zu ziehen. Unter zwei Kilometern komme ich selten aus dem Wasser raus“, schmunzelt der 62-Jährige. Umso mehr trübt es seine Stimmung, dass es besonders unter Kindern im Grundschulalter immer mehr Nichtschwimmer gibt. Denn so bleibt auch sehr viel Spaß auf der Strecke.
Die DLRG warnt schon seit Jahren vor diesem Trend. „Die Ursachen dafür, dass es immer weniger jugendliche Schwimmer gibt, sind natürlich vielfältig. Der wichtigste Faktor sind aber die Eltern. Sie nehmen für ihre Kinder eine entscheidende Vorbildfunktion ein. Wenn Kinder sehen, dass ihre Eltern Spaß und Freude an der Bewegung im Wasser und am Schwimmen haben, ist das eine wichtige Orientierung. Dieses Bild wird an die Kinder weitergegeben. Das gilt natürlich auch andersherum: Eltern können ihre Angst vor dem Wasser auf die eigenen Kinder übertragen, etwa wenn sie selbst nicht schwimmen können“, sagt Rehn. Allein der frühzeitige Kontakt mit Wasser, schon in der Badewanne, kann helfen, diese Angst zu mildern oder sie den Kindern ganz zu nehmen. Später reicht es schon, im flachen Wasser an einem See oder am Meer Ball zu spielen.
Corona als Katalysator?
Die Angst vor Wasser nehmen – leichter gesagt als getan. Denn während der Pandemie waren Schwimmbäder längerfristig geschlossen. Es gab für viele Menschen also kaum Möglichkeiten, ihre Kinder überhaupt damit in Berührung zu bringen. Hat das die Situation verschlimmert? „Ja, auf jeden Fall. Aber wir hatten auch schon vor Corona bedenklich viele schlechte Schwimmer oder Nichtschwimmer, rund 60 % der Grundschulkinder“, so Rehn. Die Zahl ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, weil etwa einige Statistiken in den Bundesländern das berühmte „Seepferdchen“ bereits als Schwimmabzeichen ansehen. Für die DLRG ist es aber nur ein „vorbereitendes Abzeichen“. Es motiviert Kinder – das ist seine wichtigste Funktion –, aber sicher schwimmen können sie damit noch nicht.

Fachmann Rehn gibt weiterhin zu bedenken, dass auch schon vor der Pandemie Schwimmbäder fehlten. Laut der DSB-Sprintstudie aus dem Jahr 2006 hatten damals etwa 25 % aller Grundschulen keinen Zugang zu Wasserflächen für den Schwimmunterricht. Die Zahl dürfte seither deutlich gestiegen sein. Zudem: „Es gibt zusehends weniger qualifizierte Lehrkräfte im staatlichen Schulsystem. Vor allem in der Grundschule fehlen sie. Qualifizierte Sportlehrer werden in der Regel erst für weiterführende Schulen ausgebildet. Es wird also oft ,fachfremd’ Schwimmen gelehrt – von Lehrern ohne entsprechende Ausbildung.“
So trafen mehrere Systemfehler der letzten Jahre aufeinander. Schon vor Corona waren – wie bereits erwähnt – nur 40 % der Kinder am Ende der Grundschule sichere Schwimmer. Corona war lediglich das Tüpfelchen auf dem i. Dennoch: Durch die Pandemie hatten zwei Jahrgänge, das sind rund 1,5 Millionen Kinder, nur sehr eingeschränkt Schwimmunterricht. Die DLRG hat in den vergangenen beiden Jahren zusammengenommen ein Viertel weniger Kinder – pro Jahr fehlten etwa 62.000 Kursteilnehmende – zu sicheren Schwimmern ausbilden können als im Jahr vor der Pandemie.
Nicht mehr Unfälle, aber mehr Arbeit
Nun könnte man denken, dass die DLRG mehr Rettungseinsätze verzeichnen würde, wenn doch so viele Kinder nicht schwimmen können. Laut Rehn ist das aber nicht der Fall. „Wir stellen eher fest, dass es immer mühsamer wird, Kindern das Schwimmen beizubringen, weil wir ihnen zunächst die Angst vor Wasser nehmen müssen“, erklärt Rehn. Dadurch tut sich ein weiteres Problem auf: Neben wesentlich mehr Teilnehmenden haben wir ein starkes Leistungsgefälle. Natürlich wollen wir, dass alle viel aus unseren Schwimmkursen mitnehmen. Aber dadurch, dass wir uns meist um die schwächeren Kinder kümmern, haben wir weniger Spielraum, um die guten Schwimmer zu fördern.“
Dennoch bleibt es wichtig, Schwimmkurse besonders heterogen zu gestalten. Denn auch Kinder können für andere Kinder eine Vorbildfunktion haben – und sie für etwas begeistern. So lassen sich Ängste und Schwächen, angeleitet durch einen Trainer, besser ausgleichen.
Zusammen planschen, nicht schwimmen
Nun sollten Eltern ihren Kindern aber wirklich nur ein stabiles Fundament mitgeben – also ihnen die Angst vor Wasser nehmen. „Ich halte sehr viel davon, wenn Eltern mit ihren Kindern ins Schwimmbad gehen – aber nicht so viel davon, wenn sie ihren Kindern das Schwimmen beibringen wollen. Fehler, die sich hier verfestigen, sind später sehr schwer zu korrigieren“, erklärt Rehn. Besser, man zeigt Kindern mit Ballspielen und Planschen, dass das Im-Wasser sein Spaß macht, statt sie mit „immer wiederkehrenden Arm- und Beinbewegungen einer Schwimmart zu quälen“. Denn genau darin liegt meist der Fehler: Oft verlieren Kinder dabei den Spaß an der Bewegung im Wasser. „Eltern arbeiten meistens zu schnell an der Schwimmbewegung selbst und lassen die Grundlagen außer Acht. Das führt leicht dazu, dass Kinder ihren Kopf nicht flach ins Wasser legen oder nicht lernen, unter Wasser auszuatmen. So gewöhnen sie sich unbewusst eine Körperlage an, die im Wasser viel Widerstand erzeugt. Das Kind kommt entsprechend nicht so gut vorwärts, muss mehr Kraft aufwenden und wird schneller müde“, weiß der DLRG-Referent.
Und was ist mit Videos auf YouTube und TikTok, die das Schwimmen erklären? „Da gibt es eine erfreuliche Vielfalt, aber natürlich sind gute und schlechte Videos dabei. Gute Videos fördern die Vorstellung von der Schwimmbewegung und der Lage im Wasser. Das kann beim Erlernen einer Schwimmart sehr hilfreich sein. Die Vorstellung der Bewegung muss sich auch in einem kindlichen Kopf entwickeln. Da sagt ein Video mehr als tausend Worte.“ Allerdings sollten solche Lehrvideos von Hochschulen und Fachverbänden stammen – und nicht von Privatpersonen.

Wichtige Tipps: Das Einmaleins der Sicherheit für Eltern von weniger guten Schwimmern
Spätestens jetzt ist klar: Kinder gehören in Schwimmkurse, die von qualifizierten Ausbildenden geleitet werden. Um einen Platz sollten sich Eltern frühestmöglich (bereits mit dem vierten oder fünften Lebensjahr ihres Kindes) kümmern. Bis zum Beginn eines Schwimmkurses sollte möglichst regelmäßig der Spaß im Wasser, am Planschen und an spielerischen Bewegungen im Vordergrund stehen. Und wer hier gut aufpasst, kann auch die meisten Unfälle am oder im Wasser vermeiden. Die passieren nämlich oft aus Unachtsamkeit. Folgende Grundregeln legt Harald Rehn Eltern deswegen ans Herz:
- Vorsicht bei unbekannten Gewässern.
- Nur bewachte Badestellen aufsuchen, um ins Wasser zu gehen.
- Schwimmflügel schützen nicht vor Ertrinken. Immer darauf achten, dass der Kopf über Wasser bleibt.
- Vernunft walten lassen: Bei schlechtem Wetter nicht ins Wasser gehen, vor allem nicht bei schwerem Seegang und Sturm am Meer.
- Kinder immer in „Griffweite“ behalten und nie aus den Augen lassen.
Artikel teilen
Entdecke weitere Geschichten
Diese Ratgeber könnten Dich auch interessieren

Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei CosmosDirekt von 1989 bis 1991. Seit 1994 ist Stefan als Online-Redakteur für unsere Webseite verantwortlich.
Hobbies: Bodybuilding, Reisen, Autos, Motorräder, American Football, Heavy Metal.